- Wuppertal
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Mut zur Lücke statt nur Beschäftigungstherapie: Wie Kinder und Kultur zusammenpassen, zeigt das vielfältige Angebot des diesjährigen Kulturrucksacks in Wuppertal.
Was ist Kunst? Kunst muss nicht verstaubt sein, alt und hinter Glas gefangen. Kultur ist mehr als Kafka und Kinder können mehr als Krach. Dass Kunst auch Spaß machen, alltagstauglich und anfassbar sein kann, zeigt der Wuppertaler Kulturrucksack mit seinen kreativen Angeboten für Kinder und Jugendliche von 10 bis 14 Jahren.
Das Innovative dabei ist, dass zur Abwechslung mal die Kinder und nicht die Konzepte im Vordergrund stehen. Die Workshops werden aus ihren Ideen und Anstößen entwickelt und umgesetzt und von Künstlern der jeweiligen Fachrichtung betreut. Dabei muss es nicht immer steril und politisch korrekt zugehen. Den Kindern soll bewusst ein Raum gegeben werden, Tabus zu brechen und sich Themen individuell und experimentell zu nähern. Der Ansatz des Kulturrucksacks ist eben gerade kein verschult didaktischer. Es geht vor allem darum, Kindern Freude an Kunst, Kultur, und den eigenen Fähigkeiten zu vermitteln, ihnen eine Bühne zu geben, auf der sie sich ausdrücken, ausprobieren und frei entfalten können. Frei, aber nicht unstrukturiert, im ‘luftleeren Raum’. Dafür sorgt die Unterstützung etablierter Künstler, die einen Anspruch gewährleistet, der die Kinder fordert und fördert. Nachhaltige Kompetenzen wie Selbstvertrauen in die eigenen Talente, eigenverantwortliches Arbeiten, Team- und Kompromissfähigkeit, Kreativität, Umgang mit Technik/Medien, Stilistik, Performance, Mut und Geschick werden spielerisch erworben. Das Selbstbewusstsein wird gestärkt durch Anerkennung und den Kontakt auf Augenhöhe: junge Menschen ernst nehmen, anstatt sie zu belehren. Nicht Kunst von oben, sondern an der Schnittstelle zu Alltag und Lebenswirklichkeit. Die Kinder da abholen, wo sie sind. Das klingt noch sehr theoretisch. Wie sieht das in der Praxis aus?
In Workshops wie „Zombiefilm" lernten die Kinder nicht nur Grundlagen des filmischen Arbeitens (Kamera, Ton, Drehbuch, Requisiten) kennen, sondern auch, wie man von der ersten Idee über die Umsetzung und die technische Nachbereitung schließlich zum fertigen Film kommt. Bei einem so fantastischen Stoff wie Zombies muss z.B. zunächst die zugrundeliegende Mythologie geklärt werden, bevor eine glaubwürdige Geschichte konstruiert werden kann: Was sind Zombies? Welche Kräfte und Beschränkungen haben sie? Wie sind sie entstanden und wie können sie besiegt werden? Und vor allem: wie kann man das Ganze mit den vorhandenen Mitteln filmisch umsetzen? An diesen Denk- und Entwicklungsprozessen waren die Kinder selbstständig und hauptverantwortlich beteiligt. Die Experten boten lediglich Hilfestellung, gaben Tipps und halfen bei der Umsetzung. Es ist verblüffend, welche Talente, vor allem im Umgang mit neuen Medien und z.B. Bearbeitungsprogrammen, bei den Kindern zu Tage traten. Diese flossen produktiv in die Gruppenarbeit ein und erfuhren eine neue Wertschätzung anstatt als irrelevant, destruktiv und computerfixiert abgetan zu werden.
Das DJing – ein weiterer ausgebuchter Workshop – ist ebenfalls nicht bloßes Beiwerk der Spaßgesellschaft, das Erstellen von Tracklisten und Zerkratzen von Schallplatten. Es geht um den kreativen und produktiven Umgang mit Musik im Zusammenhang mit technischen Möglichkeiten. Wie kann ich Neues mit Altem verbinden, die Tradition mit der Moderne, um etwas Eigenes zu kreieren? Welche Mittel stehen mir dazu zur Verfügung? Um Lieder harmonisch ineinander zu mischen, braucht es ein Gefühl für Rhythmus und Kompatibilität, das Achten auf feine Nuancen, das Erkennen von Gemeinsamkeit und das Nutzen von Eigenarten. Das DJing erweist sich als eine moderne Kunstform, die oft nicht die gebührende Anerkennung erfährt. Abgesehen davon, sind DJs natürlich cool: eine Kunstform also, mit der sich Jugendliche gut und gerne identifizieren können.
Ebenso wie beim Poetry Slam, bei dem Kinder ermutigt werden eigene Texte zu entwickeln, sind auch hier Übungen zu Vortrag und Bühnenpräsenz ein wichtiger Bestandteil des Arbeitsprozesses. Schließlich hängen Form und Inhalt und Wirkung in der Kunst eng zusammen.
Es geht beim Kulturrucksack nicht um stupide Beschäftigungstherapie, Bilder ausmalen und Namen tanzen. Es geht darum, Kunst zu leben, ohne Druck, ohne Lehrern und Konventionen gerecht werden zu müssen: allein sich selbst gerecht werden, eigenes schaffen und Bühne schnuppern, Blut lecken.
Was ist Kunst? Kunst ist „schöpferisches Gestalten aus den verschiedensten Materialien oder mit den Mitteln der Sprache, der Töne in Auseinandersetzung mit Natur und Welt“. Kunst bedeutet neue Kontexte zu schaffen, Normen zu hinterfragen, sich selbst auszudrücken und Aspekte des Lebens und der Wirklichkeit kreativ zu verarbeiten: Parkour, Moderner Tanz, Poetry Slam, Zombiefilm, Maskenspiel, Skulpturen, Comics, … Endlich geht es um die Kunst, endlich geht es um die Kinder, um Kultur, die atmet.